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Ohne Muhs nix los: Bio-Milch aus der Region in Gefahr

Frische Milch vom Bauern um die Ecke: Kaum eine andere Vorstellung steht so für „Bio“ wie diese. Doch jenes Bild hat in den letzten Jahren große Risse bekommen. Nachwirkungen der Corona-Krise, steigende Energiekosten und Preise, die sinkende Nachfrage für regionale Milch- und Molkereiprodukte – all das geht auch an den VG-Lieferant:innen für Bio-Milch aus der Region nicht spurlos vorbei. Wie schwierig ist die Lage auf den Bio-Höfen rund um Dresden? Und was bedeutet das für die Bio-Milchwirtschaft unserer Region?

Mitarbeiterin vom Hofgut Pulsitz, im Hintergrund eine Weide und der Umriss einer Kuh in orangener Farbe

Eine schöne „Öko-Blase“. So blumig beschreibt Sabine Reichardt das Leben und Arbeiten auf dem Hofgut Pulsitz. Neben dem Hof Mahlitzsch, dem Pfarrgut Taubenheim und dem Biohof Steinert beliefert das Hofgut die VG-Biomärkte schon seit Langem mit besten Bio-Molkereiprodukten aus allernächster Nähe. Doch so schön es sich anhören mag: Die heile Hofwelt bringt lange, anstrengende Arbeitstage mit sich. „Das heißt, dass wir … jeden Tag 12 Stunden arbeiten. ... Wenn eine Kuh ihr Kalb bekommt und es ist nach Feierabend, da muss jemand da sein“, erklärt Sabine. Beschweren würde sie sich aber nie: „Mir liegen die Tiere sehr am Herzen“, sagt sie und fügt hinzu: „Dafür gebe ich auch viel meiner Arbeitskraft hinein.“ Die Entscheidung für Kühe war und ist für sie eine ebenso bewusste wie auch eine Herzensangelegenheit.

Warum die Kuh für die Bio-Betriebe so wichtig ist

Nahaufnahme einer Kuh
Genauso sieht man es auch auf dem Hof Mahlitzsch und dem Pfarrgut Taubenheim. Für all diese regionalen Betriebe sind die Kühe in jeder Hinsicht achtenswerte Lebewesen und zugleich Grundlage eines zukunftsfähigen Öko-Landbaus: „Für mich gehört eine Tierhaltung immer zum Bio-Betrieb dazu, um den Bodenkreislauf und die Bodenfruchtbarkeit zu erhalten“, fasst es Sophia Sucholas vom Pfarrgut Taubenheim zusammen.

Mit Hilfe der Kuhherden könne man zudem Grasland und andere Flächen, die sonst nicht für die Produktion von Lebensmitteln zur Verfügung stünden, nutzbar machen. Besondere Bedeutung kommt der Tierhaltung auch auf den Höfen in Mahlitzsch und Pulsitz zu. Als Demeter-Betriebe arbeiten beide nach biologisch-dynamischen Prinzipien, welche die Haltung von Tieren, insbesondere Wiederkäuern, auf dem eigenen Hof vorsehen. Die nachhaltige Produktion von guten Bio-Lebensmitteln und die (Milch-)Kuh: Beides denkt man gemeinsam. „Wir machen hier gute Lebensmittel. Und Milchprodukte gehören dazu“, fasst Anne Schnurr vom Hof Mahlitzsch es zusammen. Eine artgerechte Tierhaltung ist dabei ebenso selbstverständlich. Seien es Ammenkuhhaltung oder muttergebundene Kälberaufzucht, Weidehaltung von Frühling bis Herbst oder das bewusste Nicht-Enthornen der Kühe: Für die Teams in Taubenheim, Pulsitz und Mahlitzsch steht das Wohl der Tiere im Mittelpunkt.

So ist die Lage in den regionalen Bio-Milch-Betrieben

Ökonomische Schwierigkeiten nehmen die Bio-Höfe dabei schon immer bewusst in Kauf. Denn die Milchwirtschaft ist auch im Bio-Bereich oft ein Nullsummen-Geschäft, das über andere Betriebszweige wie Acker- oder Gemüsebau mitfinanziert wird. So auch bei unseren regionalen Lieferant:innen. Nach den Entwicklungen der letzten Jahre kann man das in Mahlitzsch, Taubenheim, Pulsitz und anderswo jedoch immer weniger stemmen. Das Ende der Corona-Pandemie brachte für diese Betriebe deutliche Absatzrückgänge im Milch-Bereich. Beispielsweise gingen seitdem rund 50 Prozent weniger Bio-Frischmilch und -Molkereiprodukte vom Pfarrgut Taubenheim über die Ladentheke. Seit dem Beginn des Ukraine-Krieges verschärfte sich die Lage nochmals: durch steigende Kosten in fast allen Bereichen, stark sinkende Getreidepreise und die Inflation.

Welche Rolle regionale Wertschöpfung und Infrastruktur spielen

Was die Situation für unsere Lieferant:innen von Molkereiprodukten und Milch aus der Region noch schwieriger macht: Anders als beispielsweise Getreide lässt sich Frischmilch bei Absatzschwierigkeiten nicht lagern. Hinzu kommen saisonale Schwankungen in der Milchproduktion, da die Kühe im Sommer deutlich mehr Milch als im Winter geben. Entsprechend war man in Mahlitzsch, Taubenheim und Pulsitz seit einigen Jahren darauf angewiesen, vor allem im Sommer einen Teil der erzeugten Milch von Bio-Molkereien abholen zu lassen. Doch selbst das ist seit einigen Jahren nicht mehr möglich. Zwar fuhr eine Öko-Molkerei die Höfe in der Vergangenheit an, allerdings stellte auch diese ihre Fahrten in die Region aus Mangel an ausreichend großen Lieferant:innen im Gebiet ein. So bleibt unseren regionalen Partnern nur eines: Sie geben ihre wertvolle Bio-Milch an eine konventionelle Molkerei ab – und erhalten mit etwa 44 Cent pro Liter nur den Preis für konventionelle Kuhmilch. Um tatsächlich kostendeckend zu arbeiten, müsste es stattdessen etwa 1 Euro pro Liter sein, da ist man sich in allen Betrieben einig. So fällt den kleinen Bio-Höfen in unserer Nähe genau das auf die Füße, wogegen sie selbst ankämpfen: Es gibt schon jetzt zu wenig verarbeitende Strukturen, zu wenig Wertschöpfung in der Region. Eine Lösung wäre die Gründung einer eigenen Käserei. Zur Zeit ist das jedoch nicht mehr als eine Idee, erzählt Anne Schnurr aus Mahlitzsch. Entsprechend dramatisch ist die Lage heute. „Wir können nicht von der Luft leben“, bringt es Sophia Sucholas vom Pfarrgut Taubenheim auf den Punkt.

Mitarbeiterin vom Pfarrgut Taubenheim hält Kartons mit Bio-Frischmilch

Kreativität statt Verzweiflung: Das sind die neuen Molkereiprodukte aus der Region

Droht damit das Ende von Frischkäse, Joghurt, Quark und frischer Bio-Milch aus Dresdner Nachbarschaft? So leicht gibt man sich in Taubenheim und anderswo nicht geschlagen. Stattdessen wird in den kleinen Milchbetrieben und Molkereien fleißig an neuen Produkten getüftelt, die Neugier wie Geschmack anregen. Zu den jüngsten Milchkreationen aus den Häusern Mahlitzsch, Pulsitz und Taubenheim zählen etwa Ayran, Schwedenmilch, Quark mit saisonal wechselnden Früchten wie Erdbeere und Heidelbeere, Magermilchfrischkäse in Öl oder auch Milchspeiseeis aus hofeigener Frischmilch. Eine weitere Innovation wurde gemeinsam mit der Hofkäserei Schönborn getestet: Aus frischer Bio-Milch vom Hof Mahlitzsch entstanden in der regionalen Käserei verschiedene Weichkäse.

Bio-Milch aus der Region, für die Region

Und wenn alles nichts hilft? Könnten die Höfe auch ohne ihre Milchkühe überleben? „Die Frage ist nicht leicht zu beantworten“, gibt Sophia Sucholas zu bedenken. Es gebe schlicht zu viele unwägbare Faktoren. Schließlich fügt sie hinzu: „Ich tue mich schwer, darüber nachzudenken … damit geht … eine wichtige Identität des Betriebs verloren.“ Gleiches gilt auch für die Region: Mit dem Wegfall dieser Bio-Milch- und -Molkereibetriebe rund um Dresden käme unserer Gegend nicht nur frischer Geschmack und Vielfaltabhanden. Auch kurze Transportwege, Arbeitsplätze, regionale Resilienz und wichtige Wertschöpfung vor Ort würden darunter leiden. Entsprechend wichtig ist es allen Lieferant:innen, den Wert regionaler Bio-Milch-Produktion und -Verarbeitung vor Ort immer wieder deutlich zu machen. Die Aufforderung „Kauft regional“ geht ihnen dennoch nicht so leicht von der Zunge. „Wir wissen ja, dass auch der Kunde nicht mehr Geld als vorher im Portemonnaie hat“, so Sophia aus Taubenheim.

Bereut man angesichts all dieser Schwierigkeiten die Entscheidung für die (Milch-)Kuh? Nein – da sind sich die drei regionalen Lieferant:innen einig: „Ich habe es selber so entschieden, mit all dem, was da dran hängt: Viel Arbeit, wenig Geld. Aber ich würde es wieder so entscheiden“, sagt Sabine Reichardt vom Hofgut Pulsitz. So sieht es auch Sophia: „Wir stehen hinter dem, was wir machen.“


Taubenheim_Vollmilch

Frischmilch und H-Milch: Das sind die Unterschiede

  • Frischmilch wird lediglich pasteurisiert, d.h. kurz auf etwa 75°C erhitzt.
  • Frischmilch ist 7–10 Tage haltbar und muss gekühlt gelagert werden.
  • H-Milch hält sich ungeöffnet mehrere Monate. Sie kann ungekühlt gelagert werden.
  • Für die Herstellung von H-Milch wird die Milch auf 135°C erhitzt und schnell wieder heruntergekühlt.
  • Durch das starke Erhitzen gehen einige hitzeempfindliche Vitamine wie Vitamin B1, B2, B12, Vitamin C sowie Folsäure verloren.
  • H-Milch wird zudem homogenisiert. Dabei werden die großen Fettkügelchen, die sich bei Frischmilch als Rahm absetzen, zerstört. Durch diesen zusätzlichen Verarbeitungsschritt ändert sich der Geschmack der Milch.

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