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Fair Trade aus Europa: Gerechtes Handeln überall

Fair Trade-Produkte verbinden viele mit Ländern des globalen Südens. Aber wie steht es eigentlich um faire Produktionsbedingungen in Europa? Wir haben mit Martin Klupsch vom Fair-Handelszentrum Rheinland gesprochen. Im Interview erklärt er, warum faire Produkte aus Europa alles andere als selbstverständlich sind und welche Rolle die italienische Mafia dabei spielt.
hügelige Landschaft mit Feldern und Bäumen in Sizilien

Was zeichnet für dich faire Produkte aus?

Für mich bedeutet das zunächst, dass keine Ausbeutung der Menschen stattfindet und der Preis mindestens existenzsichernd ist – was bedeutet, dass auch Spielraum für Investitionen bleibt. Aber es geht noch weiter: Dauerhafte, partnerschaftliche Handelsbeziehungen, der Verzicht auf ausbeuterische Kinderarbeit und eine Begegnung auf Augenhöhe zwischen Produzenten und Händlern sind genauso wichtig. Und für mich persönlich spielt auch eine hohe Produktqualität eine wichtige Rolle.

Warum ist es so schwierig faire Produkte zu erkennen?

Im Gegensatz zu „Bio“ ist der Begriff „fair“ nicht rechtlich geschützt. Während es für Bio-Produkte klare Definitionen und das EU-Biosiegel gibt, darf sich praktisch alles „fair“ nennen – selbst Versicherungen oder Autovermietungen nutzen den Begriff. Auch das bekannte Fairtrade®-Siegel ist nur eines von vielen. Dabei ist fairer Handel viel älter und umfasst weitaus mehr – weshalb Produkte bekannter Fair-Handelsorganisationen wie GEPA, WeltPartner oder El Puente i.d.R. auch kein Fairtrade-Label tragen. Unabhängig davon legen die diese Organisationen ihren Fokus meist auf den globalen Süden. Faire Produktionsbedingungen in Europa finden oft weniger Beachtung.


 

» Mein wichtigster Tipp: Kauft in einem Laden eures Vertrauens ein. «

Martin Krupsch
Mitarbeiter und Kunde im VG Biomarkt Strehlen

Sind die Produktionsbedingungen in Europa aufgrund der Regularien der EU nicht automatisch fair?

Leider nein. So gibt es in Deutschland Fälle, in denen Erntehelfer, etwa aus Rumänien, ausgebeutet werden. Weitere prominente Beispiele sind die Ausbeutung von Erntehelfern in Almería (Spanien) oder die Tomaten- und Zitrusfruchtproduktion in Italien, wo die sogenannte „Agromafia“ – organisierte Kriminalität im Lebensmittelsektor – eine große Rolle spielt. Als Fairhandelszentrum haben wir deshalb schon immer bewusst auch nach Partnern und Produkten aus der Region, aus Deutschland und Europa gesucht. Wir denken, dass die Grenzen nicht geografisch verlaufen, sondern quer durch die Gesellschaften – zwischen Reich und Arm, Ausbeutern und Ausgebeuteten, Mächtigen und Ohnmächtigen. Mit dieser Perspektive haben wir nach passenden Initiativen gesucht und sind schließlich auf die Produkte von Libera Terra aus Italien gestoßen.

Was ist das besondere an der Initiative von Libera Terra?

Ein Gebäude in Sizilien, auf dem steht: "No mafia". Bild: Libera Terra
In Italien gibt es seit 1982 ein Gesetz, das es dem Staat ermöglicht, die Besitztümer von Mafia-Mitgliedern zu enteignen. Ein weiteres Gesetz erlaubt es, diese Grundstücke und Güter Sozialkooperativen zur Bewirtschaftung zu übergeben. Auf dieser Grundlage wurden in Regionen wie Sizilien, Apulien, Kalabrien und anderen Teilen Italiens Sozialkooperativen gegründet.

Diese bieten insbesondere jungen Menschen eine Perspektive in einem legalen und sicheren Lebensumfeld – fernab der Einflussnahme der Mafia. Neben Libera Terra gibt es weitere Organisationen, die sich dem Kampf gegen die Mafia und für Legalität verschrieben haben. Aus diesem Umfeld beziehen wir die „mafiafreien“ Produkte, die wir unter der Marke „legal & lecker“ vertreiben, und die es ja auch bei der VG gibt.

Wie verhindert man, dass die Mafia erneut dagegen vorgeht?

Gerade in den Anfangsjahren kam es immer wieder zu Übergriffen. So wurden beispielsweise Felder in Brand gesetzt oder – wie einmal in Kalabrien – die komplette Olivenernte gestohlen. Auch Sabotage an Maschinen war ein Problem. Allerdings ist Libera in Italien mittlerweile sehr bekannt. Wenn es zu solchen Vorfällen kam, sorgten sie für enorme mediale Aufmerksamkeit und öffentliche Reaktionen. Das ist etwas, das die Mafia unbedingt vermeiden will. Denn ihr Ziel ist, im Verborgenen zu agieren und nicht ins Rampenlicht von Öffentlichkeit, Politik und Polizei zu geraten. Dieses große öffentliche Interesse dient daher als wirksamer Schutz für Libera Terra.
Logo Libera Terra

Welche Tipps hast du für Kund:innen, die bei uns im Bioladen fair produzierte Produkte erkennen möchten?

Mein wichtigster Tipp: Kauft in einem Laden eures Vertrauens ein. Es ist kaum zumutbar, dass Konsument:innen bei jedem einzelnen Produkt genau prüfen, welches Label darauf ist und wie vertrauenswürdig es tatsächlich ist. Hier kommt dem Einzelhandel eine wichtige Rolle zu. Besonders wertvoll sind möglichst direkte Beziehungen zu den Lieferanten, die Transparenz und Vertrauen schaffen. Natürlich bieten auch Labels und Zertifizierungen eine gute Orientierung – zum Beispiel die Kennzeichnungen von Libera Terra.


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